Die erste Studie zur Sapiosexualität
Ende 2017 veröffentlichte Gilles Gignac, Psychologe und Dozent an der University of Western Australia, eine erste Studie zum Thema Sapiosexualität. In dieser Forschungsarbeit untersuchte er, ob es sich nur um eine sprachliche Modeerscheinung handelt oder eine tatsächlich nachweisbare sexuelle Vorliebe.[1]
Frühere Studien und die Evolution des Gehirns
Frühere Studien belegen bereits, dass eine hohe Intelligenz auf gute Spermaqualität und damit gute Erbanlagen schließen lässt.
Es ist also keine neue Erkenntnis, dass Frauen in der Evolution des Menschen intelligente Partner für die Familiengründung bevorzugten.[2]
Die Entwicklung des menschlichen Gehirns zu seiner heutigen Größe und Leistungsfähigkeit lässt sich unter anderem auf diese Partnerwahl zurückführen.[3]
Die bekannten Studien betrachten die Partnerwahl jedoch aus rein evolutionärer Sicht und berücksichtigen nur einen bestimmten Bereich der ganzen Bandbreite an menschlicher Intelligenz. Die Annahme, dass einige Menschen die höchste sexuelle Erregung durch die Intelligenz einer anderen Person erfahren und welcher IQ im Durchschnitt bevorzugt wird, lässt sich mit diesen Studien hingegen nicht beweisen.[4]
Die Lücke in der Forschung
Die Psychologen um Gilles Gignac nahmen diese Lücke in der Forschung zum Anlass für ihre Arbeit. Sie wollten herausfinden, ob es einen statistisch messbaren Zusammenhang gibt zwischen Intelligenz und rein sexueller Anziehung einerseits bzw. der Partnerwahl zur Familiengründung andererseits.
Die statistische Grundlage und Vorgehensweise der Studie zur Sapiosexualität
Für ihre Studie befragten die Forscher 383 Personen, die sich aus zwei Gruppen zusammensetzten:
- Der typische Teilnehmer der ersten Gruppe war Studienanfänger an einer australischen Universität, 20 Jahre alt und hatte einen IQ von 107 Punkten.
- Der übliche Vertreter der zweiten Teilnehmergruppe war US-Bürger, 29 Jahre alt und hatte einen Bachelor-Abschluss.
13 Charakterzüge in eine Rangfolge bringen
Zunächst brachte der Teilnehmer dreizehn Charakterzüge eines fiktiven Partners in eine Rangfolge. Er bewertete also z.B., ob es ihm wichtiger erscheint, dass ein Partner eine aufregende Persönlichkeit hat, intelligent ist oder über gute Erbanlagen verfügt.
Intelligenz stand im Ergebnis an zweiter Stelle, gleich hinter den Eigenschaften liebenswürdig und verständnisvoll. Eine aufregende Persönlichkeit war den Teilnehmern hingegen weniger wichtig.
Der IQ der Teilnehmer
Anschließend wurde der IQ der Teilnehmer mit Hilfe von vier kognitiven Tests gemessen. Leider bearbeiteten nur Teilnehmer der ersten Gruppe die Tests vollständig, was laut Gignac einen großen Schwachpunkt seiner Studie darstellt.
Dennoch war es möglich die vorhandenen Daten so zu interpretieren, dass der eigene IQ keine Rückschlüsse auf sapiosexuelle Neigungen zulässt. Die Psychologen vermuten, dass neben der eigenen Intelligenz auch noch weitere Persönlichkeitsfaktoren der Big Five eine Rolle spielen, wie z.B. die eigene Offenheit für neue Erfahrungen.
Die Attraktivität von Intelligenz
Auf einer IQ-Skala von 0 bis 135 stufte der Teilnehmer dann ein, wie stark ihn unterschiedliche Ausprägungen von Intelligenz anziehen.
Dafür stellte er sich ein Gegenüber vor, das intelligenter als z.B. 90% der restlichen Bevölkerung ist (IQ = 120). Dann spielte der Teilnehmer zwei Szenarien durch: Eine Begegnung mit einem Menschen, den er als rein sexuell attraktiv empfand sowie eine Begegnung mit einem möglichen Langzeitpartner (z.B. zur Familiengründung).
Es zeigte sich folgendes Bild: Ein möglicher Partner wird in beiden Szenarien am attraktivsten empfunden, wenn er intelligenter ist, als 90% der übrigen Bevölkerung.
Auffällig ist, dass die Attraktivität wieder abnimmt, wenn der IQ größer als 120 bzw. 90% ist. Die Forscher vermuten, dieses Phänomen könnte dadurch entstehen, dass die Fähigkeit ab diesem Punkt sinkt, Probleme besonders kreativ und flexibel zu lösen. Eine Unsicherheit sieht Gignac auch darin, dass einige Teilnehmer bei der Bewertung möglicherweise einen stereotypen Hochbegabten vor Augen hatten, der unter sozialen Kontakten leidet und damit weniger sozial attraktiv erscheint.
Der Sapio-Fragebogen
- Zu diesen neun Aussagen gehörten unter anderem die folgenden (eigene, sinngemäße Übersetzung der Autorin):
- Eine äußerlich attraktive Person mit einer nur durchschnittlichen Intelligenz wirkt nicht anziehend auf mich.
- Einer Person zuzuhören, die sehr intelligent spricht, erregt mich sexuell.
Den Aussagen stimmten ungefähr 30 der 383 Studienteilnehmer besonders hoch zu, wobei Frauen höhere Bewertungen abgaben, als Männer.
Die Psychologen um Gignac konnten einen weiteren Zusammenhang herstellen: Je höher der Teilnehmer den Aussagen auf dem Sapio-Fragebogen zustimmte, desto eher bewertete er auf der IQ-Skala eine hohe Intelligenz als sexuell anziehend. Etwas schwächer fiel dieser Zusammenhang bei der Bewertung der Intelligenz für eine Langzeitbeziehung aus.
Kritik und Schwachpunkte der ersten Studie zur Sapiosexualität
Gignac und seine Kollegen räumen weitere Schwachstellen der Studie ein:
So sei es möglich, dass der allgemeine Sexualtrieb bei sapiosexuellen Menschen niedriger ist, als gewöhnlich. Deshalb könnte es sein, dass Sapiosexuelle auf dem Sapio-Fragebogen keine sonderlich höheren Bewertungen abgaben, als Nicht-Sapiosexuelle. Die Forscher halten fest, dass in zukünftigen Studien Kontrollfragen eingebaut werden sollten, um Unterschiede im allgemeinen Sexualtrieb zu identifizieren.
Außerdem steht offen, ob auch noch andere Charakterzüge, wie z.B. äußerliche Attraktivität oder Liebenswürdigkeit einen ebensolchen Schwellenwert haben, wie Intelligenz (in der Studie der erwähnte IQ von 120).
Insgesamt halten die Psychologen um Gilles Gignac fest, dass besonders der Sapio-Fragebogen als ein erster Schritt in der Erforschung der Sapiosexualität betrachtet werden kann. Um die Ergebnisse zu festigen und zu verifizieren, sind weitere Studien dieser Art notwendig.